Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Widerstandskämpfer Willi Graf

Der deutsche Widerstandskämpfer Willi Graf (2. Januar 1918 bis 12. Oktober 1943) kam mit seiner Familie aus dem niederrheinischen Euskirchen nach Saarbrücken, als er noch ein Kleinkind war. Er wuchs als gläubiger Katholik auf. Seit Ende der 1920er Jahre gehörte er zur bündischen Jugend in Saarbrücken, wo er im „Neuen Deutschland“ (ND) ein naturnahes, kulturinteressiertes, weltzugewandtes Christentum lebte. Willi Graf, schon früh unabhängig und kritisch denkend, wollte als Jugendlicher die Zugehörigkeit zu dieser geistigen Richtung trotz zunehmendem sozialen Druck der Gleichaltrigen nicht aufgeben. Bei der offiziellen nationalsozialistischen Siegesfeier 1935 in Saarbrücken anläßlich der Rückkehr des Saarlandes zu Deutschland mogelte sich die schon stark zusammengeschmolzene Gruppe des Saarbrücker ND in die Reihen und marschierte direkt vor Rudolf Heß vorbei, dem Stellvertreter Hitlers. Auch bei der Großkundgebung am 1. Mai 1935 auf dem neu geschaffenen sogenannten Befreiungsfeld provozierten diese zwölf von 1000 Schülern des Ludwigsgymnasiums, die nicht der Hitlerjugend (HJ) angehörten, die aufmarschierten uniformierten Massen mit ihrem Erscheinen ohne Uniform und ihrem absichtlichen „zivilen Spaziergängerschritt“, wie sich später einer der zwölf erinnerte. Diese Aktionen führten bereits während Willi Grafs Schulzeit zu ersten Repressionen durch Schulleitung, Lehrer und Mitschüler. Die ND-Gruppe bildete sich theoretisch fort und studierte kritisch die Werke der NS-Literatur, um für den Fall der befürchteten Verhöre besser gerüstet zu sein. Nach dem Verbot ihrer Organisation bildeten sie zusammen mit den Restgruppen anderer christlicher Jugendverbände eine Art Untergrundvereinigung, den sogenannten Grauen Orden. In offenen Konflikt mit dem NS-Regime geriet Willi Graf, weil er als Medizinstudent in Bonn weiterhin Mitglied einer katholischen Jugendvereinigung war und deshalb verhaftet wurde. 1939 wurde Willi Graf zur Wehrmacht eingezogen. Seine bisher von passivem Widerstand geprägte Grundhaltung wandelte sich spätestens durch das Kriegserlebnis ab Mai 1941 als Sanitäter in Polen und Rußland zu aktiver Gegnerschaft. Als Medizinstudent konnte er sein Studium auch während des Krieges zeitweise fortsetzen. Dabei lernte er im Sommer 1942 in München einen gleichgesinnten Kreis von Menschen kennen, die unter dem Namen Weiße Rose bekannt wurden: die Geschwister Sophie und Hans Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst und Professor Kurt Huber. Die Gruppe druckte und verteilte heimlich antifaschistische Flugblätter in der Universität München. Zu diesem Zweck hatte Willi Graf unter anderem eine in Einzelteile zerlegte Druckmaschine ins Saarland geschmuggelt und nahm im Februar 1943 im Zug von Saarbrücken nach München einen Koffer voller Flugblätter mit. Ein Hausmeister der Universität beobachtete am 18. Februar 1943 Hans und Sophie Scholl beim Abwerfen von Flugblättern in den Lichthof der Universität und alarmierte sofort die Gestapo. Am gleichen Tag wurde die Gruppe der Weißen Rose verhaftet. Die Geschwister Scholl und Christoph Probst wurden fünf Tage später hingerichtet. Willi Grafs Schwester Anneliese, ebenfalls zum Studium in München und Willis Mitbewohnerin, erfuhr erst bei ihrer eigenen Verhaftung von der Widerstandsarbeit ihres Bruders; sie wurde monatelang inhaftiert und immer wieder verhört. Auch die Eltern in Saarbrücken wurden bis zum 19. April 1943 verhaftet und verhört. Willi Grafs ältere Schwester Mathilde Baez wurde ebenfalls verhört und von der Haft nur verschont, weil sie hochschwanger war. Am 18. April 1943 fällte man das Todesurteil über Willi Graf, er wurde jedoch erst ein halbes Jahr nach den anderen Gruppenmitgliedern als letzter der Weißen Rose hingerichtet. Vergebens hatte Grafs Vater an alle möglichen Stellen appelliert und bei verschiedenen einflußreichen Personen um Hilfe beim Gnadengesuch für seinen Sohn gebeten – unter anderem sogar bei dem Stahlwerksbesitzer Hermann Röchling, der seit 1933 enger Vertrauter Hitlers war. 1946 erfolgte auf Veranlassung der Familie Graf die Überführung von Willi Grafs Gebeinen nach Saarbrücken, wo er seither im Familiengrab auf dem Alten Friedhof St. Johann bestattet ist. Die Stadt Saarbrücken hat sich jahrelang sehr schwer getan mit der Erinnerung an den Widerstandskämpfer. Mittlerweile erinnern mehrere nach ihm benannte Gebäude, darunter die Willi-Graf-Realschule und das Willi-Graf-Gymnasium, an sein mutiges, eigenverantwortliches Handeln. Ein Altenheim in der Großherzog-Friedrich-Straße trägt ebenfalls seinen Namen. In der Stadt Neunkirchen ist eine Straße nach ihm benannt. Links neben dem Grabstein auf dem Alten St. Johanner Friedhof in Saarbrücken steht eine schlichte weiße Steinstele mit der Inschrift: „Willi Graf/Ein Kämpfer gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in der studentischen Widerstandsbewegung Weiße Rose/hingerichtet am 12. Oktober 1943“.

Quellen und weiterführende Literatur

Riedschy, Gaby, „Manchmal glaube ich es sicher; manchmal zweifle ich daran.“ Der Weg Willi Grafs in den Widerstand, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935–1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 159–169.

Herrmann, Hans-Walter (Hg.), Widerstand und Verweigerung im Saarland, Bd. 1: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard, Das zersplitterte Nein, Bonn 1989, Bd. 2: dies., Herrschaft und Alltag, Bonn 1991, Bd. 3: dies., Milieus und Widerstand, Bonn 1995.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.