Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Sitterswald, Kleinblittersdorf

Baugeschichte

1935 wurde im Bereich der heutigen Gemeinde Kleinblittersdorf ein Siedlungsprojekt begonnen. Eine Siedlung mit Arbeiterhäusern entstand auf einem Gebiet zwischen den damaligen Gemeinden Auersmacher und Rilchingen, die Bauarbeiten wurden jedoch 1942 kriegsbedingt eingestellt. Ab 1935 wurde auch das Waldgebiet Sitterswald im nördlichen Teil des Bannes Auersmacher gerodet, um ein neues Dorf zu erstellen. Die Siedlung beherbergte bei ihrer Fertigstellung 1939 rund 850 Menschen. Zwischen 1934 und 1939 wurden außerdem im Bereich der heutigen Gemeinde Kleinblittersdorf mehrere neue Straßen gebaut: von Bliesransbach über Sitterswald nach Hanweiler, von Sitterswald über Auersmacher nach Kleinblittersdorf sowie zwischen Hanweiler und Kleinblittersdorf. Die gerade erst gebauten Häuser Sitterswalds wurden zwischen 1939 und 1945 zu 70% zerstört; zwischen 1948 und 1953 wurde das Dorf wiederaufgebaut. Eine Schule bekam es 1950 (Marktplatz), die evangelische Kirche wurde 1952 errichtet (Beim Quallenbrunnen) und die katholische 1956 (Marktplatz). Sitterswald erhielt am 1. Juli 1957 den Status einer eigenständigen Gemeinde. Zu dieser Zeit wurde der Marktplatz ausgebaut, um den sich bis heute einige Geschäfte gruppieren. Seit 1974 ist Sitterswald ein lebendiger Ortsteil der Gemeinde Kleinblittersdorf und hat heute rund doppelt so viele Einwohner wie 1939.

Regionalgeschichtlicher Kontext

Entsprechend den nationalsozialistischen Vorstellungen wurde jedes der kleinen, ein- bzw. anderthalbgeschossigen Wohnhäuser der neuen Siedlung Sitterswald als autarke wirtschaftliche Einheit geplant. Die Häuser des ersten Bauabschnitts (Auersmacher Straße, Tulpenstraße, Ellwieser Garten, An der Gehlbach, Sonnenstraße) haben größere Garten- und Grünflächen als die später errichteten. Die Grundstücksgrößen, Gestaltung der einzelnen Häuser sowie der Aufbau der Siedlung entsprechen denen anderer NS-Siedlungen (z.B. „Dorf im Warndt“, Dudweiler und auf dem Wackenberg in St. Arnual/Saarbrücken). Der Straßenbau, der bis Kriegsbeginn auch in anderen Teilen des damaligen Landkreises Saarbrücken vorangetrieben wurde, erfüllte im Konzept der NS-Politik zwei Funktionen gleichzeitig: verkehrstechnische Erschließung für Kraftfahrzeuge zu Kriegszwecken und politischer Erfolg durch Arbeitsbeschaffung – maximal drei Monate – für viele Männer. Der Wohnungsbau und die Straßenanbindung der Grenzgemeinden im Saar-Blies-Winkel fanden buchstäblich in Sichtweite der Stadt Sarreguemines (Saargemünd) statt. Die Bauprojekte dienten einem propagandistischen Schaufenstereffekt nach innen wie nach außen. Der lothringischen Nachbargemeinde hinter der Staats- und Gemeindegrenze (identisch mit Banngrenze Hanweiler) wollte das nationalsozialistische Regime Friedens- und Aufbauwillen vorgaukeln, sie und die saarländische Bevölkerung sollten von der sozialen Leistungsfähigkeit des NS-Systems überzeugt werden. Wie in der ebenfalls sehr grenznahen Neusiedlung „Dorf im Warndt“ (Gemeinde Großrosseln) wurden die Häuser mit billigen Baustoffen und in einfacher Form errichtet. Die Kriegsvorbereitungen waren bereits seit 1936 in vollem Gange, man wollte später keine wertvollen Bauten verlieren. Kirchen waren im Dorfkonzept der nationalsozialistischen Planer natürlich nicht vorgesehen gewesen. Als nach dem Krieg die beiden Kirchen neu gebaut wurden, spiegelte ihre Plazierung (katholische Kirche in zentraler Lage, evangelische am östlichen Dorfrand) die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse wider, die seit der Industrialisierung in den gewachsenen Dörfern des Saarlandes herrschen.

Quellen und weiterführende Literatur

Feld, Reinhard, Die Organisation der Arbeit und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935–1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 99–113.

Kallenborn, Günter (Hg.), Sitterswald. Ein Dorf stellt sich vor, Sitterswald 1991 (Broschüre des „Ausschusses für Ortsverschönerung" aus Anlaß des Wettbewerbes „Unser Dorf soll schöner werden" 1991).

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.