Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Marcus Hahn

Synagogen in der Saarregion

Ehemalige Synagoge, Silberherzstraße 14, Saarlouis; Ehemalige Synagoge, Ecke Kaiserstraße/Futterstraße, sowie heutiges Gemeindehaus und Synagoge, Lortzingstraße 8, St. Johann/Saarbrücken

Die Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung Europas waren seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges von vielfältigen Emanzipations- und Assimilationsperioden geprägt. In den jüdischen Gemeinden erzeugten die Anpassungszwänge, die sich in unterschiedlichen Sonderregimen wie speziellen Auflagen, in besonderer Behandlung im Steuersystem, aber auch in Niederlassungs- oder in Berufsverboten konkretisierten, heftige liturgisch-theologische Spannungen, die bis zu Spaltungen und Sezessionen führten, sowie eine im Vergleich zu anderen Bevölkerungsteilen größere Mobilität.

Diese Entwicklung verlief nie gradlinig und oft entlang der politischen und nationalen Grenzen gebrochen. Dementsprechend kann nicht von einer einheitlichen Gesamtgeschichte des Judentums im Grenzraum über den Zeitraum der letzten beiden Jahrhunderte hinweg gesprochen werden. Trotzdem zeigen sich grenzraum-spezifische Eigenheiten des jüdischen Lebens in der Region Saar-Lor-Lux, denn zweifellos ergab sich durch die wechselnde politische Zugehörigkeit der Teilregionen für die jüdische Bevölkerung eine besonders disparate Anpassungssituation.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die am 30. April 1828 – mithin recht früh – eingeweihte Synagoge in Saarlouis (Silberherzstraße 14). Die bewußte Peuplierungspolitik für die 1680 von Grund auf neu errichtete Stadt begünstigte von Anfang an den Zuzug von Juden, insbesondere Kaufleuten und Händlern. Die weitgehend gefestigte soziale Stellung der jüdischen Stadtbevölkerung wurde in der reichen Ausstattung ihres Gotteshauses deutlich, die Fortschritte im Anpassungsprozeß symbolisierte die zentral plazierte Orgel mit liturgischer Funktion. Nach außen hin erschien das Gebäude schlicht und unauffällig.

Die weitere Entwicklung in der Teilregion Saar schien insgesamt für die Juden zunächst vielversprechend zu verlaufen, besonders für den Zeitraum nach dem Gleichstellungsgesetz von 1869 wird von einer „durchaus positiven“ Entwicklung und einer „beinahe geglückten Integration“ gesprochen (Marx, S. 192).

Der Neubau der Synagoge in Saarbrücken (Ecke Kaiserstraße/Futterstraße, Grundsteinlegung 1889, Einweihung 22.12.1890), der an die Stelle des durch die Zuwanderung zu klein gewordenen Gebetshauses trat, kann als symbolischer Beleg für diese positive Einschätzung stehen: Der prächtige, nach Plänen des Saarbrücker Architekten Friedrich Mertz errichtete Bau fügte dem Stadtbild mit seiner markanten Kuppel interessante und bis dahin unbekannte stilistische Elemente hinzu. Er fügte sich aber durch die Gestaltung der Fenster in der Front und durch die Wahl des Baumaterials doch harmonisch in den Straßenzug ein und verdeutlichte so die Verbundenheit der jüdischen Gemeinde mit ihrem Umfeld. Im Inneren der Synagoge dominierten vier große siebenarmige Leuchter und die Ausschmückung mit bestickten Vorhängen, die durch die bunten Kuppelfenster in besonderer Weise beleuchtet wurden (Wittenbrock, S. 112).

Daß mit dem schrittweisen Ausgreifen des Dritten Reiches auf den Grenzraum nach 1933/1935 eine völlig neue Dimension der Verfolgung anbrach, wurde den meisten jüdischen Bürgern erst spät, vielen zu spät deutlich. Dazu, daß manche von ihnen noch 1936 hier ihre Zukunft gestalten zu können glaubten, mag beigetragen haben, daß die Römischen Verträge für ein Jahr noch Schutz vor der schlimmsten Verfolgung garantierten. Sie ermöglichten vielleicht tatsächlich einigen wenigen jüdischen Bürgern mehr als in anderen Regionen des Dritten Reiches die Flucht und das Überleben (Marx, S. 241; Wolfanger, S. 7ff.).

Eine regionale Besonderheit in den Verfolgungsmaßnahmen kann dagegen nicht festgestellt werden: Die Zerstörung der Saarbrücker Synagoge in der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 – reichsweit organisierten Pogromen gegen Leben und Eigentum der noch verbliebenen jüdischen Bevölkerung – steht als Symbol gegen die Hoffnung eines regionalspezifischen Sonderwegs im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg. Mit der Besetzung der französischen Teile des Grenzlands ereilte wenig später auch die dortige jüdische Bevölkerung das Schicksal von Deportation und Ermordung.

Nach diesen Ereignissen konnte auch unter den geänderten politischen Bedingungen nicht mehr an die Vergangenheit angeknüpft werden: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Region Saar-Lor-Lux nur für wenige der überlebenden Juden wieder zur Heimat.

1950 wurde die jüdische Gemeinde wiedergegründet und 1951 eine neue Synagoge am Beethovenplatz eingeweiht. Selbst der Standort der alten Saarbrücker Synagoge blieb als Gedenkstätte lange Zeit der unmittelbaren Wahrnehmung entzogen: Erst am 9. November 2000 wurde durch eine erneuerte, nun deutlich sichtbare Gedenktafel wenigstens die Erinnerung an die Synagoge neu belebt.

In Saarlouis wurde im Zuge von Sanierungsmaßnahmen an der Stelle des 1983 endgültig abgerissenen Gebäudes ein Neubau errichtet, in dem ein von Paul Schneider gestalteter Gedenkraum untergebracht ist (Eröffnung: 9.11.1987).

Die Spuren jüdischen Lebens und Leidens in den Teilregionen dieses Raumes sind noch vielfältig, doch sie werden in der Öffentlichkeit wenig beachtet. Das gilt beispielsweise für den jüdischen Friedhof in Tholey. Es galt lange auch für die Gedenkstätte Neue Bremm, an der jüdischer wie nicht-jüdischer Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. Doch viele Stätten und Spuren gilt es erst noch wiederzubeleben. Das Unsichtbare Mahnmal am Saarbrücker Schloß verkörpert nicht nur das Verschwinden der jüdischen Gemeinden aus Deutschland. Es gibt auch der Tatsache Ausdruck, daß mit dem Verschwinden oder Vergessen der topographischen Zeugnisse die Orte der Erinnerung selten geworden sind und ihr Wiederauffinden nach wie vor eine Aufgabe bleibt.

Quellen und weiterführende Literatur

Herrmann, Hans-Walter, Saarbrücken unter der NS-Herrschaft, in: Wittenbrock, Rolf (Hg.), Geschichte der Stadt Saarbrücken, Bd. 2, Saabrücken 1999, S. 243–339, hier: S. 288–293.

Kretschmer, Rudolf, Geschichte der Kreisstadt Saarlouis, Bd. 4, Saarlouis 1982, hier: S. 780–797 und S. 828–830.

Kasper-Holtkotte, Cilli, Juden im Aufbruch. Zur Sozialgeschichte einer Minderheit im Saar-Mosel-Raum um 1800, Hannover 1996.

Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz und Landesarchiv Saarbrücken (Hg.), Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945, 9 Bde. Koblenz 1972ff.

Marx, Albert, Die Geschichte der Juden an der Saar. Vom Ancien Régime bis zum Zweiten Weltkrieg, Saarbrücken 1985.

Ders., Die jüdische Gemeinde Saarbrücken (1933–1945), in: Stadtverband Saarbrücken, Regionalhistorisches Museum (Hg.), Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1933–1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 201–217.

Müller, Werner, Die jüdische Minderheit im Kreis Saarlouis. Politische, sozialökonomische und kulturelle Aspekte ihrer Lebenssituation vom Ancien Régime bis zum Nationalsozialismus, St. Ingbert 1993.

Tigmann, Eva, „Was geschah am 9. November 1938?“. Eine Dokumentation über die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung im Saarland im November 1938, Saarbrücken 1998, S. 74–83.

Treib, Hans-Georg, „Jetz krien die Juden Schläh!“. Die „Reichskristallnacht“ 1938, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard/Schock, Ralph/Klimmt, Reinhard (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815–1955, Bonn 1987.

Wittenbrock, Rolf, Die drei Saarstädte in der Zeit des beschleunigten Städtewachstums (1860–1908), in: Ders. (Hg.), Geschichte der Stadt Saarbrücken, Bd. 2, Saabrücken 1999, S. 11–129, hier: S. 112f.

Wolfanger, Dieter, Das Schicksal der saarländischen Juden unter der NS-Herrschaft, St. Ingbert 1992.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.