Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Wilfried Busemann

Camp de Gurs

Impasse d’Ossau, Gurs

In den Morgenstunden des 22. Oktober 1940 begann die Verschleppung von 134 noch im Saarland wohnenden Juden. Sie war Teil der berüchtigten „Aktion Bürckel“, der ersten großen Juden-Deportation aus dem damaligen Reich. Sie wurden per Bahn – zumeist in Güterwaggons – in das besetzte Frankreich deportiert. Die nichtsahnenden Bahnbeamten des französischen Vichy-Regimes nahmen den Transport in der Annahme an, es handele sich um ausgewiesene elsässische, also französische Juden wie in den Wochen zuvor. Wenige Tage später wurden sie wie ungefähr 7500 andere Leidensgenossen aus Baden und der Pfalz im Internierungslager Gurs in den Pyrenäen inhaftiert. Relativ nahe an der französisch-spanischen Grenze gelegen, war in Gurs während der Endphase des Spanischen Bürgerkrieges unter der Regie der französischen Armee ein Auffanglager hochgezogen worden für die geschlagenen Franco-Gegner. Im Mai/Juni 1940, zur Zeit des deutschen Frankreichfeldzuges, brachte der französische Staat mehrere tausend Ausländer ins Lager: In der Mehrzahl deutsche und österreichische Juden, die seit 1933, bzw. 1935 oder 1938 vor den Nazis nach Frankreich, Belgien, Holland oder Luxemburg geflohen waren und sich nun erneut auf der Flucht befanden.

In der Kategorisierung des Vichy-Regimes war Gurs ein Lager mittlerer Härte für „feindliche Ausländer“, die aber nicht als „gefährlich“ galten. Die auf baumlosem, ehemals sumpfigem Ödland eines Plateaus der Vor-Pyrenäen gebaute Lagerstadt zählte an einer etwa zwei Kilometer langen Lagerstraße zirka 300 Baracken aus Holz, von denen jeweils 20 bis 25 zu „ilots“ genannten Blocks zusammengefaßt wurden. Diese Blocks waren durch Stacheldraht voneinander getrennt, das gesamte Lager umgab ein doppelter, zwei Meter hoher Stacheldrahtzaun. Die einzelnen Blocks waren mit Buchstaben gekennzeichnet: A–H für Männer, I–M für Frauen. Die Lebensbedingungen im Lager waren grauenhaft, obwohl Gurs nicht zur härtesten Lagerkategorie gehörte. Die sanitären Anlagen waren mehr als primitiv, es herrschte Wassermangel. Aufgrund der unzureichenden Verpflegung litten die Menschen an Unterernährung. Dies und die mangelhafte medizinische Betreuung führten allein im Winter 1940/1941 zum Tod von 800 Gefangenen; der Januar 1941 zählte im Durchschnitt 20 Tote pro Tag. Sie starben an Typhus, Ruhr, Erschöpfung und Hunger. Insgesamt sind fast 1200 Gefangene auf dem Deportierten-Friedhof von Gurs beerdigt. Vom 6. August 1942 bis zum Frühjahr 1943 wurden etwa 6000 jüdische Gefangene von Gurs über Drancy bei Paris und Saarbrücken nach Auschwitz-Birkenau und Sobibor transportiert. Die Zusammenstellung der Transporte unterstand zuerst der Regie des Vichy-Regimes, dann der deutschen Besatzungsmacht. Von den 69 Juden des Saarlandes, die von Gurs nach Auschwitz kamen, hat einer überlebt. Schätzungsweise 500 jüdische Saarländer wurden in Auschwitz zu Tode gebracht.

Im August 1944 wurde Gurs von den Alliierten befreit. Der französische Dichter Luis Aragon sagte über das Lager: „Gurs ist ein eigenartiger Laut, wie ein im Hals steckengebliebenes Stöhnen“. Nach der Befreiung wurde der Cimetière des Déportés angelegt, der seit 1962 von badischen Städten und Kreisen gemeinsam mit dem badischen Oberrat der Israeliten gepflegt wird. Im Jahre 1994 installierte der israelische Bildhauer Dani Karavan vor dem Friedhof eine Erinnerungsstätte: Bahngleise führen von einer mit Stacheldraht umsäumten Fläche zu einer Plattform, in der eine Gedenktafel eingelassen ist, über der sich eine stilisierte Lagerbaracke erhebt. Aus Anlaß des 60. Jahrestages der Deportation ihrer Mitbürger und Mitbürgerinnen stellten zum 22. Oktober 2000 viele Gemeinden Badens und der Pfalz Gedenkartikel ins Internet.

Quellen und weiterführende Literatur

Herrmann, Hans-Walter: Das Schicksal der Juden im Saarland 1920 bis 1945, in: Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945, Bd. 6, Koblenz 1974, S. 249–288, Dokumente: S. 289–491.

Laharie, Claude, Le camp de Gurs 1939–1945, Un aspect méconnu de l’histoire du Béarn, Biarritz 1985.

Mittag, Gabriele, „Es gibt Verdammte nur in Gurs“ – Literatur, Kultur und Alltag in einem südfranzösischen Internierungslager. 1940–1942, Tübingen 1996.

Schramm, Hanna, Menschen in Gurs – Erinnerungen an ein französisches Internierungslager (1940–1941), Worms 1977 (Deutsches Exil 1933–45 – Eine Schriftenreihe, hg. von Georg Heintz, Bd. 13).

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.