Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Emil Steffann

Emil Steffann (geboren am 30. Januar 1899, gestorben am 23. Juli 1968) kam mit seiner Familie im April 1941 nach Lothringen und war einer der Ortsarchitekten des Wiederaufbaus im damaligen Kreis Diedenhofen (Thionville) und Bolchen (Boulay-en-Moselle). Steffann unterstand dem Leitenden Architekten Rudolf Steinbach, der bis März 1943 in diesem Kreis tätig war. Wie alle seine Kollegen im Bereich des Kreises Diedenhofen war Steffann ein Gegner nationalsozialistischer Ideologie. Unter Steinbachs Schutz konnten sie alle weitgehend unbehelligt arbeiten, da sie sich an die generellen Vorgaben (Auflockerung des Baubestandes, autogerechte Verkehrsführung etc.) hielten. Steffann war unter anderem damit beauftragt, eine Baufibel für Lothringen zu entwickeln, auf deren Basis dann weitere Neuordnungsfragen gelöst werden sollten. Er erstellte diese Baufibel parallel zu seiner architektonischen Arbeit in Bust (Boust) 1943, indem er stets den gegebenen Bestand als Maßstab nutzte und dessen Wiederherstellung sowie die Anpassung neuer Bauten an diesen Bestand als Ziel definierte. Steffann setzte sich intensiver als alle anderen Westmark-Architekten künstlerisch mit dem Wiederaufbau bzw. Neuaufbau von Gebäuden auseinander: „Er entfernte sich am weitesten von allen Vorgaben des Wiederaufbauamtes und entwickelte einen eigenen, unverkennbaren Stil, der sich so genau wie möglich an den tradierten Formen des lothringischen Hauses und Dorfes orientierte, ohne daß er dabei auf bautechnische und konstruktive Neuerungen verzichtete oder das Ziel der ,Auflockerung‘ des Dorfes aus den Augen verlor“ (Ulrich Höhns in Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 77).

Nach einem SS-Besuch bei seiner Dorfscheune in Boust wurde Steffann versetzt zu dem privaten Planungsbüro Rimpl. Dieses arbeitete mindestens ab 1942 zunächst im Auftrag der Organisation Todt, später für das Ministerium von Albert Speer und für die Bauabteilung der Reichswerke Hermann Göring (Salzgitter) an der kriegsbedingten Verlagerung von Flugzeug-, V1- und V2-Produktion in Gruben und Höhlen des lothringischen Bergwerksgebietes. Das Büro, das zunächst mit Planungsaufgaben für die Industrie in Rußland befaßt gewesen war, wurde mit Beginn des Rückzuges der deutschen Truppen aus der Sowjetunion nach Paris verlegt und hatte eine Außenstelle in Metz unter Leitung von Helmut Romeick. Unter anderem wurden nach Planungen des Büros Rimpl in Wittring (im Saartal bei Sarreguemines) ein ehemaliges Kalkbergwerk für die V2-Produktion hergerichtet und im nordlothringischen Villerupt der ehemalige Schacht einer Erzgrube umgerüstet und für die Endmontage vorgefertigter V1 aus dem Volkswagenwerk (Wolfsburg) genutzt. Die Arbeiten in den unterirdischen Fabriken wurden von Zwangsarbeitern durchgeführt. Emil Steffann befaßte sich mindestens bis Mai 1944 mit Notunterkünften aus Betonfertigteilen für italienische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in den V1/V2-Produktionsstätten. Steffann und seine Familie blieben bis Kriegsende in Lothringen und wurden erst interniert, als die französische Militärverwaltung im November 1944 die amerikanische ablöste. Die Familie wurde nacheinander in sechs verschiedene Internierungslager geschickt, unter anderem waren sie in Poitiers, wo ihre Tochter und ein weiteres Kind als einzige von insgesamt 64 Kindern den Aufenthalt überlebten. Im Februar 1946 wurde die Familie in die englische Besatzungszone gebracht und kehrte kurz danach in die Heimatstadt Lübeck zurück. Nachdem er die dortige Stelle als gewählter Stadtbaudirektor wegen einer Intrige nicht antreten konnte, holte Rudolf Schwarz ihn ins Rheinland, wo Steffann als Planungsbeauftragter der Erzdiözese Köln für zahlreiche Siedlungsplanungen und Kirchenbauten im Rheinland, Ruhrgebiet und Norddeutschland verantwortlich zeichnete.

Quellen und weiterführende Literatur

Cohen, Jean-Louis/Hartmut Frank (Hg.), Les relations franco-allemandes 1940–1950 et leurs effets sur l’architecture et la forme urbaine. Projet de recherche commun 1986–1989/Deutsch-französische Beziehungen 1940–1950 und ihre Auswirkungen auf Architektur und Stadtgestalt. Gemeinsames Forschungsprojekt 1986–1989, Abschlußbericht, unveröffentlichtes Manuskript, 3 Bde.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.