Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Rainer Hudemann

Kultur- und Freizeitarchitektur

Kultur- und Freizeitbauten spiegeln den ganzen Fächer grenzüberschreitender Probleme und Verbindungen wider. So trägt das Saarbrücker Theater seit Kriegsende zum Kulturaustausch in der Region wesentlich bei. Errichtet wurde es jedoch als „Führergabe“ nach der Rückkehr des Saarlandes 1935, also in einem ideologisch-propagandistischen Kontext, welcher den bevorstehenden Angriffskrieg gegen Luxemburg und Frankreich im Kern bereits enthielt.

Aus der in einem eigenen Kapitel genauer untersuchten Stadtplanung des 19. Jahrhunderts wird hier der Parc Municipal in Sarrguemines vorgestellt. Schlüssel zur Erschließung der langfristigen Verflechtungen im Grenzraum bergen, neben den vielen kommunalen und Industrie-Archiven, besonders die luxemburgischen Archives de l’État, das Musée Historique Lorrain in Nancy, die Archives départementales in Metz und das Landesarchiv in Saarbrücken-Scheidt. Das Centre de Rencontres in der ehemaligen Abtei und Gefängnisanstalt Neumünster in Luxemburg-Stadt vereint zahlreiche europäische Baustile, das Kulturzentrum im Aalt Escher Schluechthaus die historistische Stilvielfalt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Das Kulturzentrum Meder-Haus in Esch-sur-Alzette wurde von einem Italiener errichtet, der im Jugendstil bzw. Art nouveau seines Hauses die verschiedenen Stileinflüsse und in seiner Biographie die Arbeiterwanderung im Großraum repräsentierte. Das Kulturzentrum Al Schmelz in Steinfort in Luxemburg zog in eine von deutschen Firmen gebaute Fabrik ein. Vielfalt in Stil und Bewohnern in Krieg und Frieden kennzeichnen das Hôtel du Grand Chef im luxemburgischen Grenz-Kurort Mondorf. Solche Bauten hatten im Verlauf ihrer Geschichte mehrere Funktionen, sie werden aufgrund ihrer heutigen Bestimmung in dieses Kapitel einbezogen.

Vielschichtig war gleichfalls die französische Kulturpolitik an der Saar in den französisch dominierten Epochen, der Völkerbundsverwaltung 1919–1935 und dem unklaren Autonomieregime mit Wirtschaftsanschluß an Frankreich 1945/1947–1955/1959. So wurden nach 1919 die Domanialschulen, welche die Kinder der Arbeiter und Angestellten der französisch geleiteten Saargruben zu besuchen hatten, als ein Instrument französischen kulturellen und damit politischen Einflusses eingesetzt; es traf in der deutschen Bevölkerung auf besonders großen Widerstand. Vieles an Kulturarbeit, was völkerverbindend hätte wirken können, wurde aufgrund der völkerrechtlichen Situation des Saargebietes – ebenso wie die Arbeitskämpfe – national überformt und umgeformt. Die ganze politische Kultur des Landes wurde dadurch geprägt.

Als Frankreich 1945 wieder auf eine möglichst enge Anbindung der Saar-Region zusteuerte, sie mit Ausnahme des Wirtschaftsanschlusses ab 1947 allerdings nie genau definierte, erhielt der Kultursektor eine zentrale politische Bedeutung. Die Niederlage im Abstimmungskampf 1935 schrieben einige französische Experten, so der vormalige Konsul an der Saar Abel Verdier, 1945 dem unzureichenden Stellenwert der Kultur in Frankreichs Politik nach 1919 zu. Daraus wollte man lernen. So entwickelte man einen breiten Fächer von kulturellen Aktivitäten, die gutenteils bis heute fortwirken. Eine zentrale Rolle kam dabei der Gründung der Universität des Saarlandes 1947/1948 zu. Der französische Hochkommissar an der Saar, Gilbert Grandval, rief die Medizinische Fakultät in Homburg zunächst auf eigene Faust 1947 ins Leben, um die Autonomie des Landes durch die Heranbildung einer bodenständigen Elite zu stärken; damit war der Kern der Universität Realität. Paris war damals, soweit es sich überhaupt über Wirtschaftsaspekte hinaus um das Saar-Statut kümmerte, eher an einem Protektoratsstatus orientiert, wie der Unterabteilungsleiter Saar im Außenministerium und spätere erste Premierminister der Fünten Republik, Michel Debré, ihn nach tunesischem Vorbild entwarf. Grandval lag dagegen an einer möglichst großen Eigenständigkeit des Landes, und er setzte sie gegen Paris gutenteils durch. Hierfür wies er der Universität eine Schlüsselrolle zu.

Die Kultur erhielt in einem solchen politischen Gesamtkonzept, mit dem man die Saar-Bevölkerung langfristig für Frankreich gewinnen wollte, einen sehr hohen Stellenwert. Man gründete nicht nur die Hochschule für Musik, sondern berief Spitzenkünstler. Der Saarländische Rundfunk errang mit einem ausgezeichneten Sinfonieorchester und dem Kammermusik-Ensemble unter Karl Ristenpart weltweites Renommé. Zusammen mit dem gleichfalls französisch inspirierten Südwestfunk in Baden-Baden entstanden im deutschen Südwesten damit zwei höchst aktive Zentren zeitgenössischer Musik, die zahlreiche Werke auch selbst in Auftrag gaben. Diese Tradition des Senders hielt sich jahrzehntelang und wirkte weit über die Region hinaus, scheint im Zuge der Sparmaßnahmen zu Beginn des neuen Jahrtausends allerdings zunehmend in Frage gestellt zu werden.

Auch auf dem Sektor der Bildenden Kunst kamen mit der Gründung der Hochschule für Kunst und Handwerk weltberühmte Künstler an die Saar, welche die Nachkriegskunst in Europa maßgeblich mit prägten: die Maler Boris Kleint und Frans Masereel und der Wegbereiter der subjektiven Fotografie Otto Steinert seien als Beispiele genannt.

Die internationale kulturelle Verflechtung, die an der Saar im Nachkriegsjahrzehnt entstand, prägte und prägt über alle politischen Konflikte hinweg seitdem den Charakter des Landes. Die Institutionen der konfliktreichen Nachkriegsjahre behielten Bestand. Der Saarländische Rundfunk wurde zu einem Zentrum der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Rundfunk und Fernsehen. Das Deutsch-französische Gymnasium, aus einer Bildungsanstalt für Kinder der Besatzungsangehörigen hervorgegangen, ist mit Buc bei Paris und Freiburg im Breisgau eine von nur drei derartigen Schulstätten.

Neue Projekte wuchsen auf dieser internationalen Kultur. Die von der Bundesregierung 1967 gestiftete Kongreßhalle machte grenzüberschreitende Veranstaltungen zu einer ihrer Hauptaufgaben. Der Deutsch-Französische Garten am Saarbrücker Stadtrand steht auf dem alten Ehrenfriedhof der Kriege und auf ehemaligen Befestigungsanlagen. Der Kulturpark Bliesbruck-Reinsheim ist nicht nur ein Modell gemeinsamer archäologischer Ausgrabungen, sondern auch grenzüberschreitender kommunaler Kooperation.

Kulturelle Erinnerungsstätten sind zumeist offensichtlicher erkennbar als Spuren der Verflechtung in vielen anderen Bereichen, und viele der in anderen Bereichen vorgestellten Objekte betreffen auch die Kultur im hier angesprochenen, engeren Sinne. Die Auswahl der in diesem Kapitel aufgenommenen Stätten ist hier daher bewußt eingegrenzt. Sie zeigen besonders deutlich die Wandlungen, welche wechselnde Funktionszuweisungen auch in der „Verortung“ einer Stätte in der Erinnerung mit sich bringen und repräsentieren.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.